

Die Machtdemonstration in der Paarbeziehung
„Mecker du ruhig, bis du blau im Gesicht bist, das ist mir doch egal.“ Wer seine Macht auf diese Weise demonstriert, signalisiert dem anderen: Deine Bedürfnisse sind mir egal, ich habe kein Interesse an Kompromissen, ich setze meinen Willen durch, koste es, was es wolle. Klar, dass das einer der größten Beziehungskiller ist.
Die Machtdemonstration ist einer der fünf „Apokalyptischen Reiter“, d.h. der Vorboten des Endes einer Beziehung, im Modell des amerikanischen Psychotherapeuten John Gottman.
Die übrigen Reiter sind vernichtende Kritik, Verteidigung, Verachtung und Rückzug . Die Machtdemonstration gilt als der gefährlichste Reiter. Er erscheint nicht zwangsläufig als letzter, sondern manchmal dazwischen oder auch schon am Anfang einer Beziehung.
Innerhalb einer Paarbeziehung lassen sich schwierige Situation oder Entscheidungsprozesse normalerweise vernünftig besprechen. Doch manchmal will man das einfach nicht.
Insgeheim weiß man natürlich, wie unfair das ist. Aber Trotz und Stolz, vielleicht auch Ängste und latente Aggression überdecken jede Empathie und lassen einen gemein werden.
Thomas Schmidt schildert in seiner Seitensprung-Fibel hierzu ein klassisches Beispiel:
„Sie und Ihre Partnerin nutzen gemeinsam ein Auto. In der Vergangenheit gab es öfter Knatsch zwischen Ihnen, weil die Dame manchmal das Auto spontan nimmt, um ihre Freundinnen zu besuchen, obwohl Sie angekündigt hatten, es zu brauchen. Ärgerlich, aber keine große Sache. Sie könnten darüber reden.
Nun haben Sie das schon oft genug versucht, ohne dass es etwas verändert hätte. Also sagen Sie nichts. Sondern schmollen vor sich hin. Dann kommt Ihre große Gelegenheit. Ihre Partnerin hat sich mit Freundinnen zu einem Konzert verabredet. Sie wissen genau, wie sehr sie sich seit Monaten darauf freut. Sie wissen auch, wann sie spätestens los muss, damit die Mitfahrerinnen pünktlich eingesammelt werden können. Eine Alternative gibt es nicht; öffentliche Verkehrsmittel wären zu umständlich, ein Taxi zu teuer. Doch statt rechtzeitig Feierabend zu machen und das Auto zu übergeben, arbeiten Sie länger. Obwohl Sie es nicht müssten. Selbstverständlich rufen Sie auch nicht an, um Bescheid zu sagen. Sie kommen erst nach Hause, als das Konzert schon begonnen hat und tun so, als hätten sie es vergessen. Ihre Partnerin ist zu Recht stinksauer. Aber statt sich zu entschuldigen, pochen Sie darauf, dass die Überstunden unverzichtbar und viel wichtiger als so ein Konzert seien, denn schließlich verdienen Sie ja den größeren Teil des gemeinsamen Haushaltsbudgets…“
Ihre Partnerin befindet sich nun in einer peinlichen und auch erniedrigenden Situation. Es sind nicht nur die Tickets verfallen und der Abend ist ruiniert. Ihre Machtdemonstration enthält auch mehrere entscheidende Botschaften:
- Meine Frau ist abhängig von mir. Wenn ich nicht mitspiele, klappt gar nichts.
- Die Bedürfnisse meiner Frau sind mir nicht nur egal, ich boykottiere sie sogar.
- Außerdem bringen ich noch einige aus dem Keller geholte Vorwürfe vor, die mir schon lange gegen den Strich gehen, die aber gar nichts mit dem Sachverhalt zu tun haben, zum Beispiel Thema Geldverdienen.
Diese Art von Machtdemonstration ist relativ leicht zu enttarnen. Das Paar müsste sich jetzt dringend zusammensetzen und darüber reden.
Nun gibt es aber auch subtilere Varianten, Macht zu zeigen und auszuspielen. Thomas Schmidt hat auch hierzu ein Beispiel:
„Sie fürchten, demnächst Ihren Job zu verlieren. Ihre Partnerin weiß das. Nun tüfteln Sie seit einer Weile an einem Geschäftsmodell, mit dem Sie sich selbständig machen möchten, um unabhängig von Ihrem Arbeitgeber zu werden. Sie sprechen mit Ihrer Partnerin darüber. Sie ist verständnisvoll, unterstützt Sie, redet Ihnen gut zu, motiviert sie. Wunderbar.
Wenn da nicht diese kleinen, merkwürdigen Nebensätze wären: „Und wenn`s nichts wird, können wir immer noch meine Eltern um Geld bitten, die sagen ja immer, wir sollen uns keine Sorgen machen.“ Oder „auch wenn du nicht so der Cheftyp bist, du wächst bestimmt schnell in die Rolle rein.“ Noch doppelbödiger: „Also, ich hab gelesen, dass mit dieser Idee schon einige baden gingen, aber du schaffst das bestimmt, Schatz.“
Übersetzen wir das mal. „Meine Eltern halten dich für einen Versager und wären nicht überrascht, wenn wir sie anpumpen müssten. Deine Führungsqualitäten sind nicht existent, du bist ein Weichei, und zu glauben, dass deine Idee funktioniert, ist absurd.“
Ihre Partnerin hat mit wenigen Sätzen Ihr Selbstbewusstsein untergraben, obwohl sie Ihnen mit freundlichem Gesicht und scheinbar unterstützend gegenübersitzt! Das nennt man Paradoxe Botschaften. Die fieseste Machtdemonstration überhaupt. Weil man sie zuerst nur spürt, aber nicht klar benennen kann.
Klassische Themen, mit denen zwecks Machtdemonstration gespielt wird, sind berufliche oder finanzielle Ängste, sexuelle Versagensängste, gerne auch in Kombination mit Eifersucht und das Vertrauen in nahestehende Freunde oder Verwandte.
Sehr gerne werden auch „alte Geschichten“ aufgewärmt. Ein Streit, der schon Jahre her ist, eignet sich hervorragend zur Machtdemonstration. Wahlweise auch ein Seitensprung. Die Botschaft des Aufwärmens lautet hier: „Ich habe dir zwar damals verziehen, aber sch…e war es trotzdem von dir. Also sorge ich ab und zu mal dafür, dass du es nicht vergisst und dich immer wieder mir gegenüber schuldig fühlst.“ Auf diese Weise können Sie Ihre*n Partner*in sekundenschnell jeden Wind aus den Segeln nehmen und dafür sorgen, dass er*sie sich richtig schlecht fühlt.
Jeder ist auf diese Art angreifbar. Und zwar von demjenigen*derjenigen, mit dem*r er sein Leben teilt. Der Person, die alle Ängste und Altlasten des anderen genau kennt. Das Wissen um Unsicherheiten und Ängste auszunutzen, ist eine vernichtende Machtdemonstration und führt, wenn sie sich als fester Bestandteil in der Beziehung etabliert, zu deren Ende. Weil der einzige Schutz gegen derartige Verletzungen ein konsequentes Abblocken aller Emotionen ist. Kein vorübergehender Mauerbau, sondern der finale Rückzug. Allerdings nicht sofort.
Das folgende Szenario kann sich anschließen. Plötzlich begegnet Ihnen ein Mensch, der so ganz ohne Machtspielchen auszukommen scheint. Mit dem Sie nur schöne stressfreie Gespräche führen ohne bedrückende subtile Aggression. Da ist nur liebevolles Interesse und natürlich ein erotisches Knistern. Ein fremder Mensch findet Sie toll. Die idealen Bedingungen für eine nette kleine Affäre. Es fühlt sich so gut an. Und ist eine weitere Machtdemonstration Ihrem*r Partner*in gegenüber. Die Botschaften: Ich brauche dich nicht. Dein Bedürfnis nach Treue und Offenheit ist mir egal, ich boykottiere es. Und ich weide mich an deiner Unsicherheit.
Also: Wirken Sie unbedingt rechtzeitig dagegen, wenn Sie diese Tendenzen bei sich oder Ihrem Gegenüber beobachten! Aber ja, es auszusprechen, erfordert Mut. Probieren Sie es! Ohne Dramatik, ohne Geschrei. Vielleicht erleben Sie eine Überraschung. In dem Moment, wo Machtgelüste und sich anbahnende Machtdemonstrationen laut formuliert werden, lösen sie sich oft in Luft auf und Sie können sich dann in aller Ruhe und sachlich mit den tatsächlichen Problemen beschäftigen.
Liebe braucht keine Machtspielchen!