Familiäre Häufung von AD(H)S • Dr. Frey
16542
post-template-default,single,single-post,postid-16542,single-format-standard,ajax_fade,page_not_loaded,,paspartu_enabled,qode-child-theme-ver-1.0.7,qode-theme-ver-7.7,wpb-js-composer js-comp-ver-8.0,vc_responsive

Familiäre Häufung von AD(H)S

ADS tritt, da primär genetisch bedingt, familiär gehäuft auf. Wie gehe ich damit als Psychiaterin um?

In meiner Praxis werden zusammen mit meinen psychologischen MitarbeiterInnen sowohl Kinder und Jugendliche wie auch Erwachsene abgeklärt und behandelt, so dass es nicht selten ist, dass zuerst ein Kind und, sobald die Situation reif ist, auch ein Geschwister, ein Elternteil oder weitere Verwandte unseren Rat suchen.

Bei der Aufklärung über AD(H)S und insbesondere, wenn sich eine Diagnose bestätigt hat, nehme ich mir jeweils viel Zeit, das Krankheitsbild zu erläutern und orientiere immer über das familiär gehäufte Auftreten. Statistisch gesehen besteht eine 60%ige Wahrscheinlichkeit, dass mindestens ein erstgradig Verwandter ebenfalls betroffen ist. Das heisst, dass Eltern, Geschwister und Kinder eines Betroffenen sich durchaus überlegen können, ob sie sich abklären lassen wollen, und sei es, um ADS auszuschliessen. Ich spreche die Thematik also direkt an, betone, dass diese Konstellation häufig und nicht ungewöhnlich ist und biete an, bei entsprechendem Verdacht behilflich zu sein.

Manchmal benötigen betroffene Eltern einfach Zeit, auch wenn sie gute Erfahrungen mit der Behandlung eines Familienmitglieds gemacht haben. Und so melden sich einige kurz nach der Diagnosestellung des ersten Betroffenen und andere erst ein Jahr später, wenn der Leidensdruck unerträglich oder eine der Begleiterkrankungen schwerwiegend geworden ist.

Der Schritt von: „mein Kind ist betroffen“ zu „ich möglicherweise auch“ ist ein grosser und wird oft auch vermieden. Der emotionale Abstand zum auffälligen Verhalten des Kindes, welcher oft hilfreich ist beim Anleiten der Kinder, wird kleiner. Als betroffener Elternteil ist man doppelt herausgefordert. Und das Eingeständnis, dass man dem Kind wegen eigener Schwierigkeiten die benötigte Struktur schwerer geben kann, als wenn man nicht betroffen wäre, kann belastend sein. Die Tatsache, als Team mit denselben Alltagssorgen zu kämpfen, stärkt allerdings auch die gegenseitige Toleranz und das Mitgefühl und im positiven Fall wächst die Familie mehr zusammen.

Beispiel 1: (Namen und Umstände geändert)
Die alleinerziehende Mutter von Ariane ( 9) und Marco (5) hat nach langer Zeit der Unklarheit für das Mädchen die Diagnose ADHS und eine wirksame Behandlung erhalten. Wir Therapeuten haben grossen Verdacht, der kleine Bruder könnte auch betroffen sein, da grosse Verhaltens- und Entwicklungsschwierigkeiten bestehen. Die Mutter möchte aber keine Abklärung. Ein Jahr später kommt sie erneut: „Jetzt bin ich parat, auch bei Marco hinzuschauen. Zunächst war die Vorstellung, er könnte ebenfalls betroffen sein, für mich unerträglich. Ich musste mich zuerst daran gewöhnen.“

Beispiel 2:
Frau X., Mutter eines Adoleszenten mit ADS, teilt schon in der Abklärungsphase des Sohnes mit, dass sie bei sich ähnliche Symptome wahrnehme und grosse Probleme in der Schule gehabt habe. Ein Jahr später meldet sie sich, nachdem sie in einen schweren Erschöpfungszustand geraten ist. Die Schwelle, sich abklären zu lassen ist durch ihren Beruf im Gesundheitswesen besonders hoch. Die Seite zu wechseln von der Helferin zur Betroffenen braucht gerade bei beruflich Engagierten in diesem Bereich besonders viel Mut.

Dr. med. Franziska Steiner
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Meiringen Schweiz
Veröffentlicht in Anti-Chaos-Bote